Fortpflanzungsorgane

Vom Geschlechtsapparat fallen gleich bei der Eröffnung der Leibeswand die drei Paar großen, gelblich-weißen Samenblasen auf; es sind sackförmige Ausstülpungen der Dissepimente in den Segmenten 9 bis 13; sie umgreifen, wenn sie stark entwickelt sind, dorsal den Oesophagus. Die Samenblasen gehen von taschenförmigen Räumen aus, von denen der eine im 10., der andere im 11. Segment unter dem Oesophagus liegt. Es sind dies die sog. Samenkapseln, Coelomräume, die völlig von den segmentalen Coelomkammern „abgekapselt“ sind. In ihnen liegen die Hoden und die grellweiß durch die Kapselwand schimmernden Samentrichter. Das erste und zweite Samenblasenpaar gehen von der vorderen Samenkapsel aus (Abb. 106 und 107), wobei das erste Paar eine nach vorn gerichtete Aussackung des Dissepiments 9/10 ist, das zweite eine nach hinten gerichtete des Dissepiments 10/11. Von der hinteren Samenkapsel stülpt sich das dritte Paar von Samenblasen nach hinten zu als Aussackung des Dissepiments 11/12 aus; es kann so groß werden, dass es noch das ganze Segment 13 durchsetzt. Man findet mit dem Stereomikroskop die wie kurzfingerige Handschuhe aussehenden Hoden. Sie sitzen der Basis der die Kapsel vorne begrenzenden Dissepimentwand an. Es sind insgesamt zwei Paar Hoden vorhanden, je eines im 10. und 11. Segment. Hinter jedem Hoden liegt einer der großen, flimmernden Samentrichter. Sie sehen wie Faltenfilter aus und setzen sich nach hinten in den Samenleiter fort. Die Samentrichter fallen durch ihr grelles Weiß auf. Es kommt durch den dichten Besatz ihrer Oberfläche mit stark lichtbrechenden, reifen Spermien zustande. Der Samenleiter durchbricht die gleichfalls von einem Dissepiment gebildete Hinterwand der Samenkapsel und zieht zunächst schräg, dann geradlinig nach hinten. Die beiden Samenleiter einer Seite vereinigen sich zu einem Kanal, der im 15. Segment den Hautmuskelschlauch durchsetzt und mit der männlichen Geschlechtsöffnung ausmündet. Die männlichen Geschlechtszellen lösen sich unreif, in Form mehrkerniger, kugeliger Follikel von den Hoden ab, geraten in die Samenkapsel, dann in die Samenblasen, wo sie Teilungen und ihre Enddifferenzierung durchmachen. Im Zuge der Teilungen entsteht eine zentrale Cytoplasmamasse (Cytophor), an der letztlich Spermien ausgebildet werden, die in die Samenkapseln zurückwandern, aus denen sie durch die Samentrichter abgeleitet werden. Die weiblichen Geschlechtsorgane bestehen aus einem Paar sehr kleiner, wie Zipfelmützen aussehender opak-weißlicher Ovarien, die vorn im 13. Segment, rechts und links neben dem Bauchmark der Basis des Dissepiments 12/13 angeheftet sind, und zwei kurzen, schräg nach hinten und außen gerichteten Eileitern, die im 14. Segment ausmünden. Die Eileiter beginnen mit einem Flimmertrichter, der mit nach vorne gerichteter Öffnung flach im Dissepiment 13/14 liegt. Unmittelbar darüber bildet das Dissepiment häufig je eine kleine, den Samenblasen entsprechende Aussackung, die Eihälter, in denen sich die zur Ablage bereiten Eier ansammeln. Zum Geschlechtsapparat gehören außerdem noch zwei Paar Receptacula seminis (Spermathecae), Einstülpungen des Integuments, die zur Leibeshöhle hin geschlossen sind und als weiße, kugelrunde Körper auffallen, die lateral im 9. und 10. Segment liegen. Man kann sie leicht finden und, von hier aus die Segmente zählend, zur Orientierung benutzen. Bei der gegenseitigen Begattung legen sich zwei Würmer mit der Bauchfläche aneinander, und zwar so, dass das Clitellum des einen Wurmes den Segmenten 9 bis 15 und damit den Öffnungen der Receptacula seminis des anderen anliegt. Drüsen scheiden nun schleimige Sekrete ab, welche die Genitalregionen wie mit einer Manschette umhüllen. Das aus der männlichen Öffnung austretende Sperma wird in der sich durch Muskelkontraktion zu einem Rohr schließenden Samenrinne bis zu den Receptacula seminis des Partners geleitet und dort gespeichert. Dann trennen sich die Würmer. Zur Eiablage bildet der Wurm erneut einen Sekretgürtel um die Region des Clitellums herum. Dieser Gürtel wird durch peristaltische Bewegungen des Hautmuskelschlauches langsam kopfwärts verschoben. Während er an den beiden weiblichen Geschlechtsöffnungen vorbeigleitet, werden in ihm ein (bei Lumbricus terrestris) oder einige Eier abgelegt. Dann zieht sich der Wurm allmählich nach rückwärts aus dem Gürtel heraus; beim Passieren der Receptacula seminis wird Sperma zu den Eiern gegeben. Ist der Gürtel ganz abgestreift, so schließt er sich vorn und hinten und wird so zu einem zitronenförmigen, Eier, Sperma und eine eiweißreiche Flüssigkeit enthaltenden Kokon. Der Keim ernährt sich mithilfe einiger zum Munde führenden Wimperorganellen vom Eiweiß der Kokonflüssigkeit. Die Entwicklung dauert drei bis vier Monate, dann verlassen die Jungwürmer die schützende Hülle. Lumbricus terrestris kann zehn Jahre alt werden.